Strukturwandel braucht Kulturwandel - warum es in der Schulentwicklung auf Haltungsbildung ankommt

Veröffentlicht am 1. Januar 1970 von Mareike Röhricht.

Mit dem neuen Monat begann am Montag, dem 03. November 2025, die BNE-Vortragsreihe, die MyGatekeeper für den FB 42 „Berufsbegleitende Qualifizierung“ des NLQ ausrichtet. Timo Holthoff, der hauptberuflich die ‚Teaching Change‘-Projekte zu BNE in der Lehrkräftebildung an der Leibniz-Universität Hannover koordiniert, eröffnete die Reihe mit einem interaktiven Vortrag.

Un­ter dem Ti­tel „Struk­tur­wan­del braucht Kul­tur­wan­del – äu­ße­rer Wan­del braucht in­ne­ren Wan­del: Hal­tungs­bil­dung in schu­li­schen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­sen“ tauch­ten die Teil­neh­men­den mit dem Do­zen­ten in die Tie­fe und Trag­wei­te der kul­tu­rel­len Di­men­si­on von Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung ein.

Aus ei­nem sys­te­ma­ti­schen Blick auf die „Viel­fach­kri­se“ un­se­rer Zeit re­sul­tier­te die Fra­ge: „Wel­che Bil­dung braucht es in der Welt, wie wir sie ken­nen?“ Die­se Fra­ge of­fen­bart die Trag­wei­te von BNE als ho­lis­ti­schem An­satz in der Schu­le, mit dem The­men und Her­aus­for­de­run­gen von In­klu­si­on bis Di­gi­ta­li­tät be­ar­bei­tet wer­den kön­nen.

Es ging aber nicht al­lein um die Theo­rie des not­wen­di­gen kul­tu­rel­len Wan­dels, son­dern um die Wün­sche und Be­dar­fe der Leh­ren­den in Nie­der­sach­sen. Die Teil­neh­men­den wur­den ge­be­ten, den nach­fol­gen­den Satz­an­fang zu ver­voll­stän­di­gen: „Ich set­ze mich für schu­li­schen Wan­del ein, weil/da­mit…“

Frust und Rat­lo­sig­keit wur­den in Aus­sa­gen wie ‚weil es so nicht mehr geht‘, ‚weil wir Leh­ren­de uns nicht dau­ernd im bü­ro­kra­ti­schen Klein-Klein ver­ren­nen dür­fen‘ oder ‚weil ich nicht mehr hin­ter­her­ren­nen will, son­dern will, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler ihr ei­ge­nes Feu­er fin­den‘ eben­so deut­lich wie gro­ße Zie­le, die sich sehr kon­kret im Kon­zept der BNE wie­der­fin­den:

  • …weil ich mir mehr Bil­dungs­ge­rech­tig­keit wün­sche.
  • …da­mit alle ihr in­ne­res „Feu­er“ fin­den und ein Ziel in ih­rem Le­ben er­ken­nen.
  • …da­mit zu­künf­ti­ge Ge­nera­tio­nen den kom­men­den Her­aus­for­de­run­gen ge­wach­sen sind.
  • …da­mit Kin­der heu­te das ler­nen kön­nen, was sie für ihr zu­künf­ti­ges Le­ben brau­chen, um ein selbst­stän­di­ges und zu­frie­de­nes Le­ben füh­ren zu kön­nen.
  • …dass selbst­be­stimm­tes Ler­nen für alle er­mög­licht wird und Wer­te die De­mo­kra­tie tra­gen.
  • …dass jede*r er­kennt, wie wich­tig er/sie ist, ge­hört wird und zum „Gro­ßen und Gan­zen“ bei­trägt — vom Ich zum Wir.

Durch Hol­thoffs Er­läu­te­run­gen wur­de schnell deut­lich: Schu­le, die im Sin­ne von BNE ge­stal­tet wird, hat gute Chan­cen, die­se Wün­sche, Nöte und Be­dürf­nis­se an­ge­mes­sen zu be­ant­wor­ten — denn sie „(f)ör­dert die Wer­te, Be­zie­hun­gen und Kom­pe­ten­zen für eine Teil­ha­be an der Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft“.

An die­ser Stel­le ver­wies Hol­thoff auf den ‚Heim­li­chen Lehr­plan‘, den Mar­gret Ras­feld von Schu­le im Auf­bruch in ih­rem Buch „Das Schuldra­ma“ skiz­ziert, und be­ton­te: „Schu­len prä­gen Ein­stel­lun­gen und Hal­tun­gen maß­geb­lich.“ Wie wir ein­an­der in der Schu­le be­geg­nen und wel­chen Wer­ten und Idea­len die Schu­len mit ih­rem Leit­bild und ih­rer täg­li­chen Pra­xis fol­gen, ent­schei­det über das Mit­ein­an­der un­se­rer zu­künf­ti­gen Ge­sell­schaft. Ge­ra­de in Zei­ten, in de­nen die Ge­sell­schaft ge­spal­te­ner denn je er­scheint und ex­tre­me Po­si­tio­nen an Zu­lauf ge­win­nen, ist die­ser Ge­dan­ke be­son­ders re­le­vant. Schu­len sind die Zu­kunfts­schmie­den un­se­rer Ge­sell­schaft.

Der Do­zent brach­te au­ßer­dem sys­te­ma­ti­sche An­sät­ze zum Neu­den­ken mit: Wel­che Ebe­nen und Hand­lungs­fel­der Schu­le sys­te­ma­tisch be­spie­len kann, skiz­zier­te er an­hand ei­nes er­wei­ter­ten 4-Qua­dran­ten-Mo­dells der In­te­gra­len Theo­rie nach Ken Wil­ber. Und wie Han­deln sinn­voll und nach­hal­tig ver­än­dert wer­den kann, so­dass zeit­ge­mä­ßes Ler­nen un­ter bes­se­ren Um­stän­den mög­lich wird, ver­an­schau­lich­te er an­hand der „In­ner De­ve­lop­ment Goals“ (IDGs). Wäh­rend die weit­aus be­kann­te­ren 17 Nach­hal­tig­keits­zie­le der UN (SDGs) als Hand­lungs­sys­te­me für Staa­ten ver­stan­den wer­den, bie­ten die IDGs Ori­en­tie­rung für das Han­deln von In­di­vi­du­en und Or­ga­ni­sa­tio­nen.

Wel­che Chan­cen bie­tet das Kon­zept für Schu­len? Eine Ori­en­tie­rung an den IDGs er­mög­licht es, Schu­le als Er­fah­rungs­raum neu zu be­grei­fen — ei­nen Raum, der auf das ge­sell­schaft­li­che Le­ben im schnel­len Wan­del vor­be­rei­tet — und ihn so aus­zu­ge­stal­ten, dass Ler­nen­de die da­für ele­men­ta­ren in­tra- und in­ter­per­so­nel­len Kom­pe­ten­zen ent­wi­ckeln kön­nen.

Ab­schlie­ßend re­flek­tier­ten die Teil­neh­men­den in Klein­grup­pen, wo und wie die­se Hal­tun­gen und Fä­hig­kei­ten in der Schul­kul­tur (ins­be­son­de­re in schu­li­scher Lei­tung und Team­ar­beit) ge­stärkt und ge­lebt wer­den kön­nen. Ihre Er­geb­nis­se tru­gen die Grup­pen auf ei­nem in­ter­ak­ti­ven White­board zu­sam­men, das Sie un­ten be­stau­nen kön­nen. Viel­leicht fin­den auch Sie so ei­nen An­satz, Ihre schu­li­schen und or­ga­ni­sa­tio­na­len — oder auch pri­va­ten — Be­zie­hun­gen fort­an be­wuss­ter und ganz­heit­li­cher nach­hal­tig zu ge­stal­ten!

Timo Hol­thoff ist frei­er Bild­ner, Au­tor und Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter für trans­for­ma­ti­vem Ler­nen und die ganz­heit­li­che Trans­for­ma­ti­on von Bil­dungs­ein­rich­tun­gen; u. a. ist er im Auf­trag von Schu­le im Auf­bruch un­ter­wegs. Sein Fo­kus liegt auf dem sys­te­mi­schen Zu­sam­men­spiel von in­ne­ren und äu­ße­ren Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen — auf per­sön­li­cher, in­sti­tu­tio­nel­ler und ge­sell­schaft­li­cher Ebe­ne.