Wie sich digitale Medien auf die Sprachentwicklung auswirken

Veröffentlicht am 7. November 2024 von Madita Hänsch.

Eine neue Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigt, dass sich der Anteil der 6- bis 18-Jährigen mit motorischen oder sprachlichen Entwicklungsstörungen in den letzten zehn Jahren um 30 beziehungsweise 50 Prozent erhöht hat. Liegt das wirklich allein daran, dass Kinder mehr digitale Inhalte konsumieren? Welche Rolle spielen das Bildungssystem und die elterlichen Vorbilder dabei?

Schüler:innen sitzen im Klassenzimmer und arbeiten mit ihren digitalen Geräten

Die Da­ten ver­dich­ten sich da­hin­ge­hend, dass eine Rei­he ne­ga­ti­ver ge­sund­heit­li­cher Ent­wick­lun­gen bei Kin­dern und Ju­gend­li­chen im Zu­sam­men­hang mit er­höh­tem Kon­sum di­gi­ta­ler Me­di­en ste­hen. Die jüngs­te Stu­die der KKH zeigt, dass sich in den letz­ten zehn Jah­ren der An­teil von 6- bis 18-Jäh­ri­gen mit mo­to­ri­schen Ent­wick­lungs­stö­run­gen um 37 Pro­zent er­höht hat. Bei Sprach- und Sprech­stö­run­gen gibt es ei­nen An­stieg von 53 Pro­zent, wo­bei die Al­ters­klas­se der 15- bis 18-Jäh­ri­gen so­gar ei­nen An­stieg von 104 Pro­zent ver­zeich­net.

In ih­rer ei­ge­nen Pres­se­mel­dung stellt die KKH da­bei schnell den kau­sa­len Zu­sam­men­hang zwi­schen dem ge­stie­ge­nen Kon­sum di­gi­ta­ler Me­di­en mit die­sen Ent­wick­lungs­stö­run­gen her und ap­pel­liert, mehr Bil­dungs­an­ge­bo­te und Auf­klä­rung zu leis­ten. Da­für ver­weist die KKH auch auf ein In­ter­view mit Hirn­for­scher Prof. Dr. Mar­tin Kor­te, in dem er er­klärt, in­wie­fern sich di­gi­ta­le Me­di­en auf die Ent­wick­lung des Ge­hirns aus­wir­ken kön­nen – so­wohl ne­ga­tiv als auch po­si­tiv: „Durch die stän­di­ge Nut­zung so­zia­ler Me­di­en wer­den Kin­der schnel­ler ab­ge­lenkt. Die Auf­merk­sam­keits­span­nen wer­den kür­zer, die Kon­zen­tra­ti­on lässt ra­scher nach. […] Durch den Kon­sum sol­cher Kurz­for­ma­te [Shorts] nimmt die vi­su­el­le In­tel­li­genz bei Ju­gend­li­chen zu, da sie in­ner­halb kür­zes­ter Zeit auf un­ter­schied­li­che Si­gna­le re­agie­ren müs­sen. Was hin­ge­gen ab­nimmt, ist das Auge für De­tails und die Fä­hig­keit, den Über­blick zu be­hal­ten. […] Mit­hil­fe so­zia­ler Me­di­en kön­nen Kin­der und Ju­gend­li­che schnell mit­ein­an­der in Kon­takt tre­ten, sich ver­net­zen und un­kom­pli­ziert von der Er­fah­rung an­de­rer pro­fi­tie­ren.“

Im In­ter­view mit Lo­go­pä­din An­ni­ka Hänsch

Doch wo liegt jetzt der Zu­sam­men­hang zwi­schen wach­sen­dem Kon­sum di­gi­ta­ler Me­di­en in jun­gen Jah­ren und den ei­gent­lich von der KKH the­ma­ti­sier­ten Sprech- oder Sprach­stö­run­gen kon­kret? Da­für ha­ben wir An­ni­ka Hänsch be­fragt, er­fah­re­ne Lo­go­pä­din im AWO Sprach­heil­zen­trum Wil­helms­ha­ven:

„Sprach­ent­wick­lungs­stö­run­gen ma­chen sich durch vie­le ver­schie­de­ne As­pek­te be­merk­bar. In der Lo­go­pä­die un­ter­teilt man die­se in drei gro­ße Be­rei­che: Wort­schatz Ar­ti­ku­la­ti­on und Gram­ma­tik. Die Stö­run­gen tre­ten bei Kin­dern ein­zeln oder in Kom­bi­na­ti­on auf. Mei­ner Mei­nung nach wer­den die Kin­der zu oft vor dem Fern­se­her, Ta­blet oder Han­dy „ge­parkt“, da­mit das fa­mi­liä­re Um­feld Ruhe hat.“ Las­sen wir un­se­re Kin­der also als El­tern oder Er­zie­hungs­be­rech­tig­te zu oft al­lein mit di­gi­ta­len Me­di­en? Und war­um ist das ein Pro­blem für die Sprach­ent­wick­lung? „Klein­kin­der bis zu ei­nem Al­ter von etwa 3 Jah­ren neh­men die in den Me­di­en dar­ge­bo­te­nen In­for­ma­tio­nen zwar wahr, kön­nen die­se aber nicht auf den All­tag über­tra­gen und auf lan­ge Sicht ab­spei­chern. Die Kin­der ver­ste­hen also, dass im Fern­se­hen ge­spro­chen wird, kön­nen die Spra­che aber nicht so ab­spei­chern, dass sie sie im all­täg­li­chen Ge­brauch ab­ru­fen oder gar Nut­zen kön­nen. Hin­zu kommt auch, dass die Spra­che in vie­len Kin­der­se­ri­en oder Fil­men eher ‚ba­by­haft‘ ist und die Kin­der dar­aus kei­nen Nut­zen zie­hen kön­nen.“

Soll­ten wir also auf di­gi­ta­le Me­di­en im Kin­der­zim­mer ver­zich­ten?

„Ich bin der Mei­nung, dass Me­di­en nicht not­wen­di­ger­wei­se kom­plett aus den Kin­der­zim­mern ver­schwin­den müs­sen. Eine be­auf­sich­tig­te und am Tag oder in der Wo­che zeit­lich be­grenz­te Nut­zung ist durch­aus mög­lich. Wich­tig ist hier, dass die El­tern mit ih­ren Kin­dern ge­mein­sam die Me­di­en nut­zen und im An­schluss noch ein­mal ge­mein­sam mit ih­ren Kin­dern re­flek­tie­ren, was pas­siert ist und sie dar­über spre­chen. So kön­nen Kin­der auch aus den Me­di­en ler­nen und das Ge­lern­te dann auch ir­gend­wann ab­ru­fen und Nut­zen. Dies gilt ins­be­son­de­re im Kin­des­al­ter. Wenn die Kin­der äl­ter wer­den und zu Ju­gend­li­chen her­an­wach­sen, ist auch hier eine Re­ge­lung der Zeit und des Con­tents nicht ir­rele­vant. El­tern soll­ten hier viel mit den Teen­agern re­den, In­ter­es­se an ih­ren Hob­bies zei­gen und die jun­gen Er­wach­se­nen auf­klä­ren – ge­ra­de auch über de Ri­si­ken der di­gi­ta­len Nut­zung.“

Wel­che Rol­le spie­len dem­nach die Er­wach­se­nen in die­sem Zu­sam­men­hang?

„Die El­tern spie­len eine sehr gro­ße Rol­le. In Schu­len könn­ten Lehr­kräf­te auch Un­ter­richts­stun­den über die di­gi­ta­le Nut­zung und ihre Aus­wir­kun­gen auf die Um­welt ge­ben, in de­nen sie auf­zei­gen, wel­che Vor- und Nach­tei­le Me­di­en ha­ben kön­nen, um Schü­ler:in­nen zu sen­si­bi­li­sie­ren und ein Be­wusst­sein zu schaf­fen. Auch Päd­agog:in­nen in Ki­tas, Kin­der­gär­ten so­wie Krip­pen neh­men eine wich­ti­ge Rol­le in Be­zug auf die Me­di­en­nut­zung ein, da auch hier kon­trol­liert Me­di­en ein­ge­setzt wer­den kön­nen, um den Kin­dern ei­nen ge­sun­den Um­gang bei­zu­brin­gen. So­wohl in der Schu­le als auch in den Kin­der­ta­ges­stät­ten ist es wich­tig, El­tern­ar­beit zu leis­ten, um auch hier zu in­ter­ve­nie­ren und den El­tern wich­ti­ge In­for­ma­tio­nen zur Me­di­en­nut­zung zu­kom­men zu las­sen. Fort­bil­dun­gen im Be­reich der Me­di­en­nut­zung sind für alle Päd­agog:in­nen, ge­ra­de in der heu­ti­gen Zeit, folg­lich wich­tig, um Kin­dern und El­tern den si­che­ren Um­gang mit Me­di­en na­he­le­gen zu kön­nen.“

Je mehr und re­gel­mä­ßi­ger El­tern mit ih­ren Kin­dern spre­chen, vor­le­sen oder Ge­schich­ten er­zäh­len, Blick­kon­tak­te her­stel­len und ech­te Ge­sprä­che för­dern, des­to bes­ser ent­wi­ckeln sich die sprach­li­chen Fä­hig­kei­ten der Her­an­wach­sen­den. In Kita und Schu­le ist es wich­tig, ei­nen Ein­satz di­gi­ta­ler Me­di­en dem Pri­mat der Päd­ago­gik fol­gen zu las­sen, sie also sinn­stif­tend und ziel­füh­rend ein­zu­set­zen. Die Auf­klä­rung über die Wir­kungs­me­cha­nis­men und Aus­wir­kun­gen von di­gi­ta­len Me­di­en, ins­be­son­de­re So­ci­al Me­dia, auf die ei­ge­ne Ge­sund­heit muss fes­ter Be­stand­teil der Lehr­plä­ne sein.

Un­ter­stüt­zung in der Me­di­en­bil­dung und Ge­sund­heits­för­de­rung durch My­Ga­te­kee­per

Bei My­Ga­te­kee­per kön­nen Schu­len und au­ßer­schu­li­sche Lern­or­te eine Rei­he von Work­shops aus un­se­rem An­ge­bot bu­chen, um Un­ter­stüt­zung in der Me­di­en­bil­dung zu er­hal­ten. Au­ßer­dem be­ra­ten wir bei der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung und wei­te­ren Maß­nah­men im Rah­men der Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung, und bie­ten Fort- und Wei­ter­bil­dun­gen für päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te und Lei­tun­gen an.