Die Daten verdichten sich dahingehend, dass eine Reihe negativer gesundheitlicher Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit erhöhtem Konsum digitaler Medien stehen. Die jüngste Studie der KKH zeigt, dass sich in den letzten zehn Jahren der Anteil von 6- bis 18-Jährigen mit motorischen Entwicklungsstörungen um 37 Prozent erhöht hat. Bei Sprach- und Sprechstörungen gibt es einen Anstieg von 53 Prozent, wobei die Altersklasse der 15- bis 18-Jährigen sogar einen Anstieg von 104 Prozent verzeichnet.
In ihrer eigenen Pressemeldung stellt die KKH dabei schnell den kausalen Zusammenhang zwischen dem gestiegenen Konsum digitaler Medien mit diesen Entwicklungsstörungen her und appelliert, mehr Bildungsangebote und Aufklärung zu leisten. Dafür verweist die KKH auch auf ein Interview mit Hirnforscher Prof. Dr. Martin Korte, in dem er erklärt, inwiefern sich digitale Medien auf die Entwicklung des Gehirns auswirken können – sowohl negativ als auch positiv: „Durch die ständige Nutzung sozialer Medien werden Kinder schneller abgelenkt. Die Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer, die Konzentration lässt rascher nach. […] Durch den Konsum solcher Kurzformate [Shorts] nimmt die visuelle Intelligenz bei Jugendlichen zu, da sie innerhalb kürzester Zeit auf unterschiedliche Signale reagieren müssen. Was hingegen abnimmt, ist das Auge für Details und die Fähigkeit, den Überblick zu behalten. […] Mithilfe sozialer Medien können Kinder und Jugendliche schnell miteinander in Kontakt treten, sich vernetzen und unkompliziert von der Erfahrung anderer profitieren.“
Im Interview mit Logopädin Annika Hänsch
Doch wo liegt jetzt der Zusammenhang zwischen wachsendem Konsum digitaler Medien in jungen Jahren und den eigentlich von der KKH thematisierten Sprech- oder Sprachstörungen konkret? Dafür haben wir Annika Hänsch befragt, erfahrene Logopädin im AWO Sprachheilzentrum Wilhelmshaven:
„Sprachentwicklungsstörungen machen sich durch viele verschiedene Aspekte bemerkbar. In der Logopädie unterteilt man diese in drei große Bereiche: Wortschatz Artikulation und Grammatik. Die Störungen treten bei Kindern einzeln oder in Kombination auf. Meiner Meinung nach werden die Kinder zu oft vor dem Fernseher, Tablet oder Handy „geparkt“, damit das familiäre Umfeld Ruhe hat.“
Lassen wir unsere Kinder also als Eltern oder Erziehungsberechtigte zu oft allein mit digitalen Medien? Und warum ist das ein Problem für die Sprachentwicklung?
„Kleinkinder bis zu einem Alter von etwa 3 Jahren nehmen die in den Medien dargebotenen Informationen zwar wahr, können diese aber nicht auf den Alltag übertragen und auf lange Sicht abspeichern. Die Kinder verstehen also, dass im Fernsehen gesprochen wird, können die Sprache aber nicht so abspeichern, dass sie sie im alltäglichen Gebrauch abrufen oder gar Nutzen können. Hinzu kommt auch, dass die Sprache in vielen Kinderserien oder Filmen eher ‚babyhaft‘ ist und die Kinder daraus keinen Nutzen ziehen können.“
Sollten wir also auf digitale Medien im Kinderzimmer verzichten?
„Ich bin der Meinung, dass Medien nicht notwendigerweise komplett aus den Kinderzimmern verschwinden müssen. Eine beaufsichtigte und am Tag oder in der Woche zeitlich begrenzte Nutzung ist durchaus möglich. Wichtig ist hier, dass die Eltern mit ihren Kindern gemeinsam die Medien nutzen und im Anschluss noch einmal gemeinsam mit ihren Kindern reflektieren, was passiert ist und sie darüber sprechen. So können Kinder auch aus den Medien lernen und das Gelernte dann auch irgendwann abrufen und Nutzen. Dies gilt insbesondere im Kindesalter. Wenn die Kinder älter werden und zu Jugendlichen heranwachsen, ist auch hier eine Regelung der Zeit und des Contents nicht irrelevant. Eltern sollten hier viel mit den Teenagern reden, Interesse an ihren Hobbies zeigen und die jungen Erwachsenen aufklären – gerade auch über de Risiken der digitalen Nutzung.“
Welche Rolle spielen demnach die Erwachsenen in diesem Zusammenhang?
„Die Eltern spielen eine sehr große Rolle. In Schulen könnten Lehrkräfte auch Unterrichtsstunden über die digitale Nutzung und ihre Auswirkungen auf die Umwelt geben, in denen sie aufzeigen, welche Vor- und Nachteile Medien haben können, um Schüler:innen zu sensibilisieren und ein Bewusstsein zu schaffen. Auch Pädagog:innen in Kitas, Kindergärten sowie Krippen nehmen eine wichtige Rolle in Bezug auf die Mediennutzung ein, da auch hier kontrolliert Medien eingesetzt werden können, um den Kindern einen gesunden Umgang beizubringen. Sowohl in der Schule als auch in den Kindertagesstätten ist es wichtig, Elternarbeit zu leisten, um auch hier zu intervenieren und den Eltern wichtige Informationen zur Mediennutzung zukommen zu lassen. Fortbildungen im Bereich der Mediennutzung sind für alle Pädagog:innen, gerade in der heutigen Zeit, folglich wichtig, um Kindern und Eltern den sicheren Umgang mit Medien nahelegen zu können.“
Je mehr und regelmäßiger Eltern mit ihren Kindern sprechen, vorlesen oder Geschichten erzählen, Blickkontakte herstellen und echte Gespräche fördern, desto besser entwickeln sich die sprachlichen Fähigkeiten der Heranwachsenden. In Kita und Schule ist es wichtig, einen Einsatz digitaler Medien dem Primat der Pädagogik folgen zu lassen, sie also sinnstiftend und zielführend einzusetzen. Die Aufklärung über die Wirkungsmechanismen und Auswirkungen von digitalen Medien, insbesondere Social Media, auf die eigene Gesundheit muss fester Bestandteil der Lehrpläne sein.
Unterstützung in der Medienbildung und Gesundheitsförderung durch MyGatekeeper
Bei MyGatekeeper können Schulen und außerschulische Lernorte eine Reihe von Workshops aus unserem Angebot buchen, um Unterstützung in der Medienbildung zu erhalten. Außerdem beraten wir bei der Organisationsentwicklung und weiteren Maßnahmen im Rahmen der Prävention und Gesundheitsförderung, und bieten Fort- und Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte und Leitungen an.