Eine demokratische Schulkultur spielt hierbei eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht Schüler:innen nicht nur, demokratische Werte zu verstehen, sondern auch, sie durch eigene Erfahrungen zu verinnerlichen. Partizipation, Teilhabe und Student Agency sind keine optionalen Ergänzungen, sondern essenzielle Bestandteile einer zukunftsorientierten Bildung.
In diesem Beitrag zeigen wir, wie Schulen demokratische Prozesse nachhaltig verankern und junge Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit stärken können – mit konkreten Ansätzen, Methoden und erprobten Praxisbeispielen.
Haltung zeigen
Alles beginnt bei der eigenen Haltung. Viele Lehrkräfte nehmen an, dass sie sich zu politischen Fragen neutral zu positionieren haben oder ihre politische Meinung nicht äußern dürfen. Unsicherheit im Hinblick auf die kontroversen Debatten führen dazu, dass eher auf soziales und individuelles Handeln fokussiert und damit die kollektive Ebene des gemeinsamen politischen Handelns ausgeblendet wird. Tatsache ist, dass es einen gewichtigen Unterschied zwischen parteipolitischer Indoktrination und politischer Bildung gibt: Eine demokratisch orientierte politische Bildung bedeutet, dass Lehrkräfte Haltung zeigen müssen und sich mit ihren Schüler:innen gemeinsam mit den kontroversen Debatten auseinandersetzen sollten, um die Resilienz von Kindern und Jugendlichen gegenüber den Einflüssen parteipolitischer Kampagnen zu stärken.
Der Beutelsbacher Konsens bietet Lehrkräften hierfür eine Orientierung. Er umfasst drei Grundsätze:
- Überwältigungsverbot: Lehrkräfte dürfen keine Meinungen aufzwingen oder Schüler:innen in ihrer Urteilsbildung beeinflussen. Politische Bildung soll zur eigenständigen Meinungsbildung befähigen und nicht indoktrinieren.
- Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik umstritten ist, muss auch im Unterricht als kontrovers dargestellt werden. Unterschiedliche Perspektiven müssen sichtbar gemacht und diskutiert werden.
- Interessenlage der Lernenden: Schüler:innen sollen dazu befähigt werden, ihre eigene politische Situation zu analysieren, ihre Interessen zu erkennen und Wege zu finden, aktiv Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen.
Aus einer kontroversen Darstellung der Unterrichtsinhalte folgt demnach nicht, dass die Lehrkraft keine eigenen Positionen haben und aufzeigen darf. Innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sollten Lehrkräfte eine "Kultur des Dissens" fördern, in der unterschiedliche Positionen sachlich diskutiert werden. Die Herausforderung liegt darin, eigene Überzeugungen transparent, aber nicht dominierend einzubringen. Bei Angriffen auf demokratische Grundprinzipien gibt es keine Pflicht zur Neutralität. Lehrkräfte müssen hier klar Stellung beziehen und die Werte der Verfassung - Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - aktiv verteidigen.
So heißt es beispielsweise im niedersächsischen Schulgesetz: "Erziehung und Unterricht müssen dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersächsischen Verfassung entsprechen; die Schule hat die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen Verfassungen zugrunde liegen. Die Schüler:innen sollen fähig werden, die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen".
Student Agency fördern und demokratische Schulkultur entwickeln
Der OECD Lernkompass 2030 legt großen Wert auf Demokratie, Partizipation und Teilhabe als zentrale Elemente zukunftsorientierter Bildung. Im Zentrum steht die Entwicklung von Student Agency, also der eigenständigen Gestaltungs- und Handlungskompetenz der Schüler:innen. Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche Verantwortung für ihr Lernen übernehmen, selbstbestimmt handeln, wählen und entscheiden können sowie ihr Leben und die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Dabei spielt auch die Co-Agency eine wichtige Rolle - die Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen wie Lehrkräften, Eltern und der Gemeinschaft.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) hat im Juli 2024 neue Empfehlungen zur Stärkung der Demokratiebildung vorgelegt. Diese betonen die Notwendigkeit, Demokratiebildung angesichts aktueller Herausforderungen wie Desinformation und Politikverdrossenheit zu intensivieren. Schüler:innen sollen befähigt werden, sich in der modernen Gesellschaft zu orientieren und für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Die SWK empfiehlt, eine demokratische Schulkultur durch gezielte Schulentwicklung und Partizipation zu fördern.
Eine demokratische Schulkultur geht weit über formale Strukturen hinaus und durchdringt alle Bereiche des Schullebens, um Demokratie als gelebte Praxis erfahrbar zu machen:
- Werte und Kommunikation: Sind geprägt von demokratischen Werten, respektvollen Kommunikationsformen, gegenseitigem Respekt und Unterstützung im Umgang miteinander sowie Achtung von Vielfalt und Diversität.
- Partizipation und Mitbestimmung: Brauchen vielfältige Möglichkeiten zur Mitsprache für alle Beteiligten, aktive Einbindung von Schüler:innen in Entscheidungsprozesse (über Kuchenbasare hinaus) und die Einbindung von Eltern in die Gestaltung des Schullebens.
- Demokratisches Handeln und Lernen: Schüler:innen erleben, erfahren und reflektieren demokratisches Handeln aktiv, setzen sich mit Werten, Normen und ethischen Aspekten auseinander und werden in ihrer Verantwortungsübernahme und Selbstständigkeit gefördert.
- Schulorganisation: Es braucht transparente und partizipative Organisations- und Verwaltungsprozesse (auch im Schulteam), funktionierenden Informationsfluss und systemische Kooperation im Kollegium und die pädagogische Führung durch die Schulleitung mit Fokus auf Kooperation und Kommunikation.
- Inklusion und Teilhabe: Erfordert die Einbindung aller Kinder, unabhängig von Alter, Geschlecht, Sprache, Behinderung, sozioökonomischen Status, Kultur oder Begabung und die Reflexion der gesamten Schulgemeinschaft über geschlechtsspezifisches Rollenverhalten, Bedürfnisse und Interessen.
Von der Theorie in die Praxis
MyGatekeeper und weitere Organisationen haben sich darauf spezialisiert, Schulen in der Entwicklung einer demokratischen Schulkultur zu unterstützen. Dafür gibt es vielfältige Formate und Methoden, die alle gemeinsam haben, Schüler:innen in ihrer Selbstwirksamkeit zu fördern, Demokratie erlebbar zu machen und Schulteams zu befähigen, Räume für Partizipation und Teilhabe zu gestalten. Klassenräte, Schüler:innenvertretungen und Arbeitskreise mit Schüler:innen, die echte Mitsprache an der Gestaltung ihrer Schule erhalten und von Lernbegleitungen unterstützt werden, sind ein bereits in ganz Deutschland durch die Kultusministerien bereitgestelltes Instrument zur demokratischen Schulkultur. Darüber hinaus können Formate wie schulweite Hackathons, der FREI DAY oder themenbasierte Projektwochen und Workshops die Schüler:innen in ihrer Student Agency fördern. Denn darin erhalten die Schüler:innen Raum, um eigene Initiativen und Projekte zu entwickeln.
Mit unserer digitalen Beteiligungsplattform Take Your Space möchten wir junge Menschen dazu ermächtigen, ihre Umwelt aktiv mitzugestalten und ihre kreativen Ideen in die Tat umzusetzen. Dafür bieten wir ihnen eine interaktive Webkarte, mit der sie auf Probleme aufmerksam machen, Empfehlungen aussprechen und Vorschläge einbringen können. Entstanden ist das Projekt aus der Idee einer Gruppe engagierter junger Menschen, die sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in ihrer Stadt einsetzen wollten. Sie erkannten, dass sich viele junge Menschen nicht in politische Entscheidungsprozesse einbringen, weil es oft an Transparenz und einfachen Möglichkeiten zur Beteiligung mangelt. Take Your Space kann in vielfältigen Kontexten als Werkzeug eingesetzt werden, um aktive Teilhabe zu ermöglichen: In Schulen, Jugendparlamenten und außerschulischen Lernorten.
Es liegt in unserer Verantwortung, Kindern und Jugendlichen den Raum zur aktiven Teilhabe und Partizipation zu geben, damit sie Demokratie erleben können und dazu befähigt werden, sie zu schützen.