Haltung zeigen: Demokratie, Partizipation und Teilhabe in der Schule

Veröffentlicht am 25. Februar 2025 von Madita Hänsch.

Demokratie ist mehr als ein politisches System – sie ist eine gelebte Praxis, die erlernt und erfahren werden muss. Doch in einer Zeit, in der Desinformation und Politikverdrossenheit zunehmen, stellt sich die Frage: Wie können wir junge Menschen dazu befähigen, sich aktiv an unserer Gesellschaft zu beteiligen?

Drei Jugendliche lächeln und unterhalten sich.

Eine de­mo­kra­ti­sche Schul­kul­tur spielt hier­bei eine zen­tra­le Rol­le. Sie er­mög­licht Schü­ler:in­nen nicht nur, de­mo­kra­ti­sche Wer­te zu ver­ste­hen, son­dern auch, sie durch ei­ge­ne Er­fah­run­gen zu ver­in­ner­li­chen. Par­ti­zi­pa­ti­on, Teil­ha­be und Stu­dent Agen­cy sind kei­ne op­tio­na­len Er­gän­zun­gen, son­dern es­sen­zi­el­le Be­stand­tei­le ei­ner zu­kunfts­ori­en­tier­ten Bil­dung.

In die­sem Bei­trag zei­gen wir, wie Schu­len de­mo­kra­ti­sche Pro­zes­se nach­hal­tig ver­an­kern und jun­ge Men­schen in ih­rer Selbst­wirk­sam­keit stär­ken kön­nen – mit kon­kre­ten An­sät­zen, Me­tho­den und er­prob­ten Pra­xis­bei­spie­len.

Hal­tung zei­gen

Al­les be­ginnt bei der ei­ge­nen Hal­tung. Vie­le Lehr­kräf­te neh­men an, dass sie sich zu po­li­ti­schen Fra­gen neu­tral zu po­si­tio­nie­ren ha­ben oder ihre po­li­ti­sche Mei­nung nicht äu­ßern dür­fen. Un­si­cher­heit im Hin­blick auf die kon­tro­ver­sen De­bat­ten füh­ren dazu, dass eher auf so­zia­les und in­di­vi­du­el­les Han­deln fo­kus­siert und da­mit die kol­lek­ti­ve Ebe­ne des ge­mein­sa­men po­li­ti­schen Han­delns aus­ge­blen­det wird. Tat­sa­che ist, dass es ei­nen ge­wich­ti­gen Un­ter­schied zwi­schen par­tei­po­li­ti­scher In­dok­tri­na­ti­on und po­li­ti­scher Bil­dung gibt: Eine de­mo­kra­tisch ori­en­tier­te po­li­ti­sche Bil­dung be­deu­tet, dass Lehr­kräf­te Hal­tung zei­gen müs­sen und sich mit ih­ren Schü­ler:in­nen ge­mein­sam mit den kon­tro­ver­sen De­bat­ten aus­ein­an­der­set­zen soll­ten, um die Re­si­li­enz von Kin­dern und Ju­gend­li­chen ge­gen­über den Ein­flüs­sen par­tei­po­li­ti­scher Kam­pa­gnen zu stär­ken.

Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens bie­tet Lehr­kräf­ten hier­für eine Ori­en­tie­rung. Er um­fasst drei Grund­sät­ze:

  • Über­wäl­ti­gungs­ver­bot: Lehr­kräf­te dür­fen kei­ne Mei­nun­gen auf­zwin­gen oder Schü­ler:in­nen in ih­rer Ur­teils­bil­dung be­ein­flus­sen. Po­li­ti­sche Bil­dung soll zur ei­gen­stän­di­gen Mei­nungs­bil­dung be­fä­hi­gen und nicht in­dok­tri­nie­ren.
  • Kon­tro­ver­si­täts­ge­bot: Was in Wis­sen­schaft und Po­li­tik um­strit­ten ist, muss auch im Un­ter­richt als kon­tro­vers dar­ge­stellt wer­den. Un­ter­schied­li­che Per­spek­ti­ven müs­sen sicht­bar ge­macht und dis­ku­tiert wer­den.
  • In­ter­es­sen­la­ge der Ler­nen­den: Schü­ler:in­nen sol­len dazu be­fä­higt wer­den, ihre ei­ge­ne po­li­ti­sche Si­tua­ti­on zu ana­ly­sie­ren, ihre In­ter­es­sen zu er­ken­nen und Wege zu fin­den, ak­tiv Ein­fluss auf po­li­ti­sche Pro­zes­se zu neh­men.

Aus ei­ner kon­tro­ver­sen Dar­stel­lung der Un­ter­richts­in­hal­te folgt dem­nach nicht, dass die Lehr­kraft kei­ne ei­ge­nen Po­si­tio­nen ha­ben und auf­zei­gen darf. In­ner­halb der frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung soll­ten Lehr­kräf­te eine "Kul­tur des Dis­sens" för­dern, in der un­ter­schied­li­che Po­si­tio­nen sach­lich dis­ku­tiert wer­den. Die Her­aus­for­de­rung liegt dar­in, ei­ge­ne Über­zeu­gun­gen trans­pa­rent, aber nicht do­mi­nie­rend ein­zu­brin­gen. Bei An­grif­fen auf de­mo­kra­ti­sche Grund­prin­zi­pi­en gibt es kei­ne Pflicht zur Neu­tra­li­tät. Lehr­kräf­te müs­sen hier klar Stel­lung be­zie­hen und die Wer­te der Ver­fas­sung - Men­schen­wür­de, De­mo­kra­tie und Rechts­staat­lich­keit - ak­tiv ver­tei­di­gen.

So heißt es bei­spiels­wei­se im nie­der­säch­si­schen Schul­ge­setz: "Er­zie­hung und Un­ter­richt müs­sen dem Grund­ge­setz für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der Nie­der­säch­si­schen Ver­fas­sung ent­spre­chen; die Schu­le hat die Wert­vor­stel­lun­gen zu ver­mit­teln, die die­sen Ver­fas­sun­gen zu­grun­de lie­gen. Die Schü­ler:in­nen sol­len fä­hig wer­den, die Grund­rech­te für sich und je­den an­de­ren wirk­sam wer­den zu las­sen, die sich dar­aus er­ge­ben­de staats­bür­ger­li­che Ver­ant­wor­tung zu ver­ste­hen und zur de­mo­kra­ti­schen Ge­stal­tung der Ge­sell­schaft bei­zu­tra­gen".

Stu­dent Agen­cy för­dern und de­mo­kra­ti­sche Schul­kul­tur ent­wi­ckeln

Der OECD Lern­kom­pass 2030 legt gro­ßen Wert auf De­mo­kra­tie, Par­ti­zi­pa­ti­on und Teil­ha­be als zen­tra­le Ele­men­te zu­kunfts­ori­en­tier­ter Bil­dung. Im Zen­trum steht die Ent­wick­lung von Stu­dent Agen­cy, also der ei­gen­stän­di­gen Ge­stal­tungs- und Hand­lungs­kom­pe­tenz der Schü­ler:in­nen. Ziel ist es, dass Kin­der und Ju­gend­li­che Ver­ant­wor­tung für ihr Ler­nen über­neh­men, selbst­be­stimmt han­deln, wäh­len und ent­schei­den kön­nen so­wie ihr Le­ben und die Ge­sell­schaft ak­tiv mit­ge­stal­ten. Da­bei spielt auch die Co-Agen­cy eine wich­ti­ge Rol­le - die Zu­sam­men­ar­beit mit an­de­ren Ak­teur:in­nen wie Lehr­kräf­ten, El­tern und der Ge­mein­schaft.

Die Stän­di­ge Wis­sen­schaft­li­che Kom­mis­si­on (SWK) der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK) hat im Juli 2024 neue Emp­feh­lun­gen zur Stär­kung der De­mo­kra­tie­bil­dung vor­ge­legt. Die­se be­to­nen die Not­wen­dig­keit, De­mo­kra­tie­bil­dung an­ge­sichts ak­tu­el­ler Her­aus­for­de­run­gen wie Des­in­for­ma­ti­on und Po­li­tik­ver­dros­sen­heit zu in­ten­si­vie­ren. Schü­ler:in­nen sol­len be­fä­higt wer­den, sich in der mo­der­nen Ge­sell­schaft zu ori­en­tie­ren und für Frei­heit, De­mo­kra­tie und Men­schen­rech­te ein­zu­tre­ten. Die SWK emp­fiehlt, eine de­mo­kra­ti­sche Schul­kul­tur durch ge­ziel­te Schul­ent­wick­lung und Par­ti­zi­pa­ti­on zu för­dern.

Eine de­mo­kra­ti­sche Schul­kul­tur geht weit über for­ma­le Struk­tu­ren hin­aus und durch­dringt alle Be­rei­che des Schul­le­bens, um De­mo­kra­tie als ge­leb­te Pra­xis er­fahr­bar zu ma­chen:

  • Wer­te und Kom­mu­ni­ka­ti­on: Sind ge­prägt von de­mo­kra­ti­schen Wer­ten, re­spekt­vol­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men, ge­gen­sei­ti­gem Re­spekt und Un­ter­stüt­zung im Um­gang mit­ein­an­der so­wie Ach­tung von Viel­falt und Di­ver­si­tät.
  • Par­ti­zi­pa­ti­on und Mit­be­stim­mung: Brau­chen viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten zur Mit­spra­che für alle Be­tei­lig­ten, ak­ti­ve Ein­bin­dung von Schü­ler:in­nen in Ent­schei­dungs­pro­zes­se (über Ku­chen­ba­sa­re hin­aus) und die Ein­bin­dung von El­tern in die Ge­stal­tung des Schul­le­bens.
  • De­mo­kra­ti­sches Han­deln und Ler­nen: Schü­ler:in­nen er­le­ben, er­fah­ren und re­flek­tie­ren de­mo­kra­ti­sches Han­deln ak­tiv, set­zen sich mit Wer­ten, Nor­men und ethi­schen As­pek­ten aus­ein­an­der und wer­den in ih­rer Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me und Selbst­stän­dig­keit ge­för­dert.
  • Schul­or­ga­ni­sa­ti­on: Es braucht trans­pa­ren­te und par­ti­zi­pa­ti­ve Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Ver­wal­tungs­pro­zes­se (auch im Schul­team), funk­tio­nie­ren­den In­for­ma­ti­ons­fluss und sys­te­mi­sche Ko­ope­ra­ti­on im Kol­le­gi­um und die päd­ago­gi­sche Füh­rung durch die Schul­lei­tung mit Fo­kus auf Ko­ope­ra­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on.
  • In­klu­si­on und Teil­ha­be: Er­for­dert die Ein­bin­dung al­ler Kin­der, un­ab­hän­gig von Al­ter, Ge­schlecht, Spra­che, Be­hin­de­rung, so­zio­öko­no­mi­schen Sta­tus, Kul­tur oder Be­ga­bung und die Re­fle­xi­on der ge­sam­ten Schul­ge­mein­schaft über ge­schlechts­spe­zi­fi­sches Rol­len­ver­hal­ten, Be­dürf­nis­se und In­ter­es­sen.

Von der Theo­rie in die Pra­xis

My­Ga­te­kee­per und wei­te­re Or­ga­ni­sa­tio­nen ha­ben sich dar­auf spe­zia­li­siert, Schu­len in der Ent­wick­lung ei­ner de­mo­kra­ti­schen Schul­kul­tur zu un­ter­stüt­zen. Da­für gibt es viel­fäl­ti­ge For­ma­te und Me­tho­den, die alle ge­mein­sam ha­ben, Schü­ler:in­nen in ih­rer Selbst­wirk­sam­keit zu för­dern, De­mo­kra­tie er­leb­bar zu ma­chen und Schul­teams zu be­fä­hi­gen, Räu­me für Par­ti­zi­pa­ti­on und Teil­ha­be zu ge­stal­ten. Klas­sen­rä­te, Schü­ler:in­nen­ver­tre­tun­gen und Ar­beits­krei­se mit Schü­ler:in­nen, die ech­te Mit­spra­che an der Ge­stal­tung ih­rer Schu­le er­hal­ten und von Lern­be­glei­tun­gen un­ter­stützt wer­den, sind ein be­reits in ganz Deutsch­land durch die Kul­tus­mi­nis­te­ri­en be­reit­ge­stell­tes In­stru­ment zur de­mo­kra­ti­schen Schul­kul­tur. Dar­über hin­aus kön­nen For­ma­te wie schul­wei­te Ha­cka­thons, der FREI DAY oder the­men­ba­sier­te Pro­jekt­wo­chen und Work­shops die Schü­ler:in­nen in ih­rer Stu­dent Agen­cy för­dern. Denn dar­in er­hal­ten die Schü­ler:in­nen Raum, um ei­ge­ne In­itia­ti­ven und Pro­jek­te zu ent­wi­ckeln.

Mit un­se­rer di­gi­ta­len Be­tei­li­gungs­platt­form Take Your Space möch­ten wir jun­ge Men­schen dazu er­mäch­ti­gen, ihre Um­welt ak­tiv mit­zu­ge­stal­ten und ihre krea­ti­ven Ide­en in die Tat um­zu­set­zen. Da­für bie­ten wir ih­nen eine in­ter­ak­ti­ve Web­kar­te, mit der sie auf Pro­ble­me auf­merk­sam ma­chen, Emp­feh­lun­gen aus­spre­chen und Vor­schlä­ge ein­brin­gen kön­nen. Ent­stan­den ist das Pro­jekt aus der Idee ei­ner Grup­pe en­ga­gier­ter jun­ger Men­schen, die sich für eine Ver­bes­se­rung der Le­bens­be­din­gun­gen in ih­rer Stadt ein­set­zen woll­ten. Sie er­kann­ten, dass sich vie­le jun­ge Men­schen nicht in po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­pro­zes­se ein­brin­gen, weil es oft an Trans­pa­renz und ein­fa­chen Mög­lich­kei­ten zur Be­tei­li­gung man­gelt. Take Your Space kann in viel­fäl­ti­gen Kon­tex­ten als Werk­zeug ein­ge­setzt wer­den, um ak­ti­ve Teil­ha­be zu er­mög­li­chen: In Schu­len, Ju­gend­par­la­men­ten und au­ßer­schu­li­schen Lern­or­ten.

Es liegt in un­se­rer Ver­ant­wor­tung, Kin­dern und Ju­gend­li­chen den Raum zur ak­ti­ven Teil­ha­be und Par­ti­zi­pa­ti­on zu ge­ben, da­mit sie De­mo­kra­tie er­le­ben kön­nen und dazu be­fä­higt wer­den, sie zu schüt­zen.

Wo soll unsere gemeinsame Reise bei MyGatekeeper hinführen? Was möchten wir gemeinsam erreichen? Wie können wir unsere Zusammenarbeit stärken? Und was brauchen wir, um unsere Mission zu erfüllen? Bei unserer ersten Quartalstagung in diesem Jahr hatten wir viel Spaß und arbeiteten kreativ zusammen, um Antworten auf diese Fragen zu finden.