Die Zahlen der neuen DAK-Suchtstudie schocken Eltern und pädagogische Fachkräfte in Deutschland. Die Längsschnittuntersuchung des UKE Hamburg analysiert Gaming, Social Media und Streaming bei 10- bis 17-Jährigen. Dabei kam heraus, dass in Deutschland 1,3 Millionen junge Menschen eine riskante oder pathologische Nutzung sozialer Medien aufweisen. Das sind mehr als 25 Prozent. Im Vergleich zu 2019 ist das eine Anstieg von 126 Prozent.
Mediensucht zeigt sich durch verschiedene Symptome und Verhaltensweisen. Betroffene können Beginn, Ende, Dauer und Intensität ihrer Online-Aktivitäten nicht mehr steuern. Alltägliche Aufgaben, reale soziale Kontakte, Hobbys und Verpflichtungen werden zugunsten der Mediennutzung vernachlässigt. Schul- oder Arbeitsleistungen verschlechtern sich, chronische Rücken- und Kopfschmerzen, Schlafmangel oder Sehschwächen können auftreten. Bei Nichtnutzung treten Symptome wie Nervosität, Aggressivität oder Niedergeschlagenheit auf.
Hinzu kommen die Folgen durch den Einfluss der Inhalte, die die Kinder und Jugendlichen auf Social Media konsumieren. Die Konfrontation mit verzerrten Körperbildern auf Social Media kann zu einer falschen Selbstwahrnehmung führen und die Entwicklung von Essstörungen begünstigen. Der ständige Vergleich mit scheinbar "perfekten" Leben anderer kann zudem Angstzustände und Depressionen auslösen. Und jedes sechste Schulkind erlebt digitale Gewalt, was zu Isolation und langfristigen Folgen für die mentale Gesundheit führen kann.
Digitale Bildung und die Stärkung der psychosozialen Gesundheit
"Medien- und Gesundheitskompetenz sind nah beieinander, weshalb deren Vermittlung in der Schule einen viel höheren Stellenwert einnehmen muss", erklärt Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen e.V. (BVKJ). "Wir sehen im Praxisalltag das Problem der psychischen Störungen sowie medienbezogener Störungen immer häufiger. Außerdem sehen wir, dass Eltern überfordert sind und Orientierung suchen."
Bei MyGatekeeper richten wir seit jeher den Fokus auf digitale Bildung und die Stärkung der psychosozialen Gesundheit. Mit Projekten wie "Kompetent von Anfang an" und unseren Workshop-Angeboten rund um die Themen Cybermobbing, Fake News und Social Media setzen wir uns tagtäglich dafür ein, junge Menschen darin zu unterstützen, selbstbestimmt im digitalen Raum handeln zu können.
Wie sinnvoll sind Handyverbote?
Die Schüler:innen der Don-Bosco-Schule in Rostock haben sich dazu entschieden, Geld für einen Handytresor zu sammeln. Seit Kurzem kann jede:r vor Unterrichtsbeginn freiwillig sein Handy in diesem Tresor bis Unterrichtsende verschließen. In den Pausen gilt außerdem ein striktes Handy-Verbot auf dem Schulhof, um Cybermobbing und heimliches Filmen zu unterbinden. Seitdem beobachtet Gert Mengel die Wirkungen: Die Kinder spielen und sprechen mehr miteinander. Im Unterricht sind die Schüler:innen konzentrierter und die Ablenkung sei geringer.
Der Schulleiter Gert Mengel ist unter Bildungsakteur:innen ein bekannter und respektierter Experte für digitale Bildung. Seit der Corona-Pandemie hat er nicht weniger als drei Podcasts gestartet, um Impulse für den Einsatz digitaler Medien und KI im Unterricht zu geben. Er setzt sich im Kontrast zu den Gefahren von Social Media für einen sinnvollen Einsatz von digitalen Geräten im Unterricht ein und fordert von der Politik, die Schulen entsprechend auszustatten, damit digitale Bildung frei von der Ablenkung durch Social Media stattfinden kann.
In Dänemark findet das Bildungsministerium ähnliche Worte. Lange lautete hier die Devise, digitale Medien täglich und quasi in jeder Unterrichtseinheit einzusetzen. Die Schulen wurden umfangreich digitalisiert und mit Endgeräten ausgestattet. Die Pisa-Studie von 2022 zeigte, dass dänische Schüler:innen weltweit die meiste Zeit vor dem Bildschirm verbringen: 3,8 Stunden pro Tag bei Lernaktivitäten in der Schule. Im Februar 2024 veröffentlichte die dänische Bildungs- und Qualitätsagentur dann zwölf Empfehlungen für die Bildschirmnutzung in Grundschulen und Freizeiteinrichtungen. Dazu gehört die Einrichtung einer handyfreien Schule, das Sperren nicht relevanter Internetseiten oder das Wegschließen von Handys und Tablets, wenn sie nicht benötigt werden. Bildschirme sollen nur dann eingesetzt werden, wenn sie didaktisch und pädagogisch sinnvoll sind.
Tatsache ist, dass wir zwischen Social Media und anderen digitalen Medien bei dieser Debatte streng unterscheiden müssen. Social Media wie Facebook und TikTok werden von den Betreibern gezielt dazu eingesetzt, die Nutzenden so lange wie möglich auf ihrer Plattform zu halten. Das Design der gesamten Anwendung ist darauf ausgerichtet, eine Mediensucht über die Dopamin-Ausschüttung zu provozieren. Mehr zu den Mechanismen hinter Social Media erklärt dieses YouTube-Video von Kurzgesagt. In diesem Sinne ist es unerlässlich, junge Menschen dabei zu begleiten, einen gesunden Umgang mit Social Media zu erlernen. Für alle anderen digitalen Werkzeuge gilt es, einen sinnvollen Einsatz der Medien in Lernräumen zu ergründen. Denn abseits von Social Media bergen digitale Medien großes Potenzial, Lernräume zu bereichern und Lernende in ihren individuellen Lernwegen gezielt zu unterstützen.
Wann sind Bildschirme didaktisch und pädagogisch sinnvoll?
Diese Frage stellen sich Medienpädagog:innen und pädagogische Fachkräfte seit der erste Computerraum an einer Schule eingerichtet wurde. Seitdem wurden zahlreiche Studien erhoben, Best Practices erprobt und Empfehlungen gegeben und wieder verworfen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass es keine Patentlösung gibt. Denn wir Menschen sind vielfältig mit unseren Bedürfnissen, Fähigkeiten und persönlichen Lernzielen.
Dennoch gibt es grundlegende, evidenzbasierte Prinzipien des Lerndesigns, auf deren Basis Lernbegleitungen und Lernraumgestalter:innen Entscheidungen treffen können: Es geht zuerst um die Menschen und ihre Lernziele und zuletzt um die Frage nach dem passenden digitalen Werkzeug. Beim Gestalten des Lernraums frage ich zunächst danach, was meine Lernenden brauchen, um sich wohl und sicher zu fühlen, damit Lernen stattfinden kann. Dann betrachte ich das übergeordnete Meta-Lernziel, das wir gemeinsam erreichen möchten, bevor ich die untergeordneten, individuelleren Lernziele definiere. Damit habe ich die Orientierung, die ich brauche, um zu entscheiden, welche Methoden die Lernenden darin unterstützen, diese Ziele zu erreichen. Zum Schluss entscheidet sich, ob und in welchem Maße digitale Werkzeuge hier helfen.
Bei MyGatekeeper unterstützen wir Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte und Schulleitungen dabei die Balance für den sinnvollen Einsatz digitaler Medien zu finden. Denn es ist unsere Vision, Menschen und Organisationen dabei zu unterstützen, die Herausforderungen der digitalen Transformation zu meistern, Bildung zugänglicher zu gestalten und nachhaltige soziale Veränderungen voranzutreiben.