Sinn und Unsinn von Handyverboten: Wann ist es zu viel für Kinder und Jugendliche?

Veröffentlicht am 20. März 2025 von Madita Hänsch.

Der steigende Anteil an jungen Menschen, die riskante oder pathologische Nutzung von Social Media zeigen, ist besorgniserregend. Doch nicht nur die Suchtgefahr stellt ein Problem dar – auch die psychischen Auswirkungen durch ständige Vergleiche und den Konsum verzerrter Inhalte sind alarmierend. Während die digitale Welt viele Chancen bietet, ist es von entscheidender Bedeutung, junge Menschen in ihrer Medienkompetenz zu stärken, um sie vor den Risiken zu schützen.

Eine Gruppe Jugendlicher arbeitet zusammen

Die Zah­len der neu­en DAK-Sucht­stu­die scho­cken El­tern und päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te in Deutsch­land. Die Längs­schnitt­un­ter­su­chung des UKE Ham­burg ana­ly­siert Ga­ming, So­ci­al Me­dia und Strea­ming bei 10- bis 17-Jäh­ri­gen. Da­bei kam her­aus, dass in Deutsch­land 1,3 Mil­lio­nen jun­ge Men­schen eine ris­kan­te oder pa­tho­lo­gi­sche Nut­zung so­zia­ler Me­di­en auf­wei­sen. Das sind mehr als 25 Pro­zent. Im Ver­gleich zu 2019 ist das eine An­stieg von 126 Pro­zent.

Me­di­en­sucht zeigt sich durch ver­schie­de­ne Sym­pto­me und Ver­hal­tens­wei­sen. Be­trof­fe­ne kön­nen Be­ginn, Ende, Dau­er und In­ten­si­tät ih­rer On­line-Ak­ti­vi­tä­ten nicht mehr steu­ern. All­täg­li­che Auf­ga­ben, rea­le so­zia­le Kon­tak­te, Hob­bys und Ver­pflich­tun­gen wer­den zu­guns­ten der Me­di­en­nut­zung ver­nach­läs­sigt. Schul- oder Ar­beits­leis­tun­gen ver­schlech­tern sich, chro­ni­sche Rü­cken- und Kopf­schmer­zen, Schlaf­man­gel oder Seh­schwä­chen kön­nen auf­tre­ten. Bei Nicht­nut­zung tre­ten Sym­pto­me wie Ner­vo­si­tät, Ag­gres­si­vi­tät oder Nie­der­ge­schla­gen­heit auf.

Hin­zu kom­men die Fol­gen durch den Ein­fluss der In­hal­te, die die Kin­der und Ju­gend­li­chen auf So­ci­al Me­dia kon­su­mie­ren. Die Kon­fron­ta­ti­on mit ver­zerr­ten Kör­per­bil­dern auf So­ci­al Me­dia kann zu ei­ner fal­schen Selbst­wahr­neh­mung füh­ren und die Ent­wick­lung von Ess­stö­run­gen be­güns­ti­gen. Der stän­di­ge Ver­gleich mit schein­bar "per­fek­ten" Le­ben an­de­rer kann zu­dem Angst­zu­stän­de und De­pres­sio­nen aus­lö­sen. Und je­des sechs­te Schul­kind er­lebt di­gi­ta­le Ge­walt, was zu Iso­la­ti­on und lang­fris­ti­gen Fol­gen für die men­ta­le Ge­sund­heit füh­ren kann.

Di­gi­ta­le Bil­dung und die Stär­kung der psy­cho­so­zia­len Ge­sund­heit

"Me­di­en- und Ge­sund­heits­kom­pe­tenz sind nah bei­ein­an­der, wes­halb de­ren Ver­mitt­lung in der Schu­le ei­nen viel hö­he­ren Stel­len­wert ein­neh­men muss", er­klärt Dr. Mi­cha­el Hub­mann, Prä­si­dent des Be­rufs­ver­bands der Kin­der- und Ju­gend­ärzt:in­nen e.V. (BVKJ). "Wir se­hen im Pra­xis­all­tag das Pro­blem der psy­chi­schen Stö­run­gen so­wie me­di­en­be­zo­ge­ner Stö­run­gen im­mer häu­fi­ger. Au­ßer­dem se­hen wir, dass El­tern über­for­dert sind und Ori­en­tie­rung su­chen."

Bei My­Ga­te­kee­per rich­ten wir seit je­her den Fo­kus auf di­gi­ta­le Bil­dung und die Stär­kung der psy­cho­so­zia­len Ge­sund­heit. Mit Pro­jek­ten wie "Kom­pe­tent von An­fang an" und un­se­ren Work­shop-An­ge­bo­ten rund um die The­men Cy­ber­mob­bing, Fake News und So­ci­al Me­dia set­zen wir uns tag­täg­lich da­für ein, jun­ge Men­schen dar­in zu un­ter­stüt­zen, selbst­be­stimmt im di­gi­ta­len Raum han­deln zu kön­nen.

Wie sinn­voll sind Han­dy­ver­bo­te?

Die Schü­ler:in­nen der Don-Bosco-Schu­le in Ros­tock ha­ben sich dazu ent­schie­den, Geld für ei­nen Han­dyt­re­sor zu sam­meln. Seit Kur­zem kann jede:r vor Un­ter­richts­be­ginn frei­wil­lig sein Han­dy in die­sem Tre­sor bis Un­ter­richts­en­de ver­schlie­ßen. In den Pau­sen gilt au­ßer­dem ein strik­tes Han­dy-Ver­bot auf dem Schul­hof, um Cy­ber­mob­bing und heim­li­ches Fil­men zu un­ter­bin­den. Seit­dem be­ob­ach­tet Gert Men­gel die Wir­kun­gen: Die Kin­der spie­len und spre­chen mehr mit­ein­an­der. Im Un­ter­richt sind die Schü­ler:in­nen kon­zen­trier­ter und die Ab­len­kung sei ge­rin­ger.

Der Schul­lei­ter Gert Men­gel ist un­ter Bil­dungs­ak­teur:in­nen ein be­kann­ter und re­spek­tier­ter Ex­per­te für di­gi­ta­le Bil­dung. Seit der Co­ro­na-Pan­de­mie hat er nicht we­ni­ger als drei Pod­casts ge­star­tet, um Im­pul­se für den Ein­satz di­gi­ta­ler Me­di­en und KI im Un­ter­richt zu ge­ben. Er setzt sich im Kon­trast zu den Ge­fah­ren von So­ci­al Me­dia für ei­nen sinn­vol­len Ein­satz von di­gi­ta­len Ge­rä­ten im Un­ter­richt ein und for­dert von der Po­li­tik, die Schu­len ent­spre­chend aus­zu­stat­ten, da­mit di­gi­ta­le Bil­dung frei von der Ab­len­kung durch So­ci­al Me­dia statt­fin­den kann.

In Dä­ne­mark fin­det das Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um ähn­li­che Wor­te. Lan­ge lau­te­te hier die De­vi­se, di­gi­ta­le Me­di­en täg­lich und qua­si in je­der Un­ter­richts­ein­heit ein­zu­set­zen. Die Schu­len wur­den um­fang­reich di­gi­ta­li­siert und mit End­ge­rä­ten aus­ge­stat­tet. Die Pisa-Stu­die von 2022 zeig­te, dass dä­ni­sche Schü­ler:in­nen welt­weit die meis­te Zeit vor dem Bild­schirm ver­brin­gen: 3,8 Stun­den pro Tag bei Lern­ak­ti­vi­tä­ten in der Schu­le. Im Fe­bru­ar 2024 ver­öf­fent­lich­te die dä­ni­sche Bil­dungs- und Qua­li­täts­agen­tur dann zwölf Emp­feh­lun­gen für die Bild­schirm­nut­zung in Grund­schu­len und Frei­zeit­ein­rich­tun­gen. Dazu ge­hört die Ein­rich­tung ei­ner han­dy­frei­en Schu­le, das Sper­ren nicht re­le­van­ter In­ter­net­sei­ten oder das Weg­schlie­ßen von Han­dys und Ta­blets, wenn sie nicht be­nö­tigt wer­den. Bild­schir­me sol­len nur dann ein­ge­setzt wer­den, wenn sie di­dak­tisch und päd­ago­gisch sinn­voll sind.

Tat­sa­che ist, dass wir zwi­schen So­ci­al Me­dia und an­de­ren di­gi­ta­len Me­di­en bei die­ser De­bat­te streng un­ter­schei­den müs­sen. So­ci­al Me­dia wie Face­book und Tik­Tok wer­den von den Be­trei­bern ge­zielt dazu ein­ge­setzt, die Nut­zen­den so lan­ge wie mög­lich auf ih­rer Platt­form zu hal­ten. Das De­sign der ge­sam­ten An­wen­dung ist dar­auf aus­ge­rich­tet, eine Me­di­en­sucht über die Do­pa­min-Aus­schüt­tung zu pro­vo­zie­ren. Mehr zu den Me­cha­nis­men hin­ter So­ci­al Me­dia er­klärt die­ses You­Tube-Vi­deo von Kurz­ge­sagt. In die­sem Sin­ne ist es un­er­läss­lich, jun­ge Men­schen da­bei zu be­glei­ten, ei­nen ge­sun­den Um­gang mit So­ci­al Me­dia zu er­ler­nen. Für alle an­de­ren di­gi­ta­len Werk­zeu­ge gilt es, ei­nen sinn­vol­len Ein­satz der Me­di­en in Lern­räu­men zu er­grün­den. Denn ab­seits von So­ci­al Me­dia ber­gen di­gi­ta­le Me­di­en gro­ßes Po­ten­zi­al, Lern­räu­me zu be­rei­chern und Ler­nen­de in ih­ren in­di­vi­du­el­len Lern­we­gen ge­zielt zu un­ter­stüt­zen.

Wann sind Bild­schir­me di­dak­tisch und päd­ago­gisch sinn­voll?

Die­se Fra­ge stel­len sich Me­di­en­päd­agog:in­nen und päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te seit der ers­te Com­pu­ter­raum an ei­ner Schu­le ein­ge­rich­tet wur­de. Seit­dem wur­den zahl­rei­che Stu­di­en er­ho­ben, Best Prac­tices er­probt und Emp­feh­lun­gen ge­ge­ben und wie­der ver­wor­fen. Da­bei kris­tal­li­sier­te sich her­aus, dass es kei­ne Pa­tent­lö­sung gibt. Denn wir Men­schen sind viel­fäl­tig mit un­se­ren Be­dürf­nis­sen, Fä­hig­kei­ten und per­sön­li­chen Lern­zie­len.

Den­noch gibt es grund­le­gen­de, evi­denz­ba­sier­te Prin­zi­pi­en des Lern­de­signs, auf de­ren Ba­sis Lern­be­glei­tun­gen und Lern­raum­ge­stal­ter:in­nen Ent­schei­dun­gen tref­fen kön­nen: Es geht zu­erst um die Men­schen und ihre Lern­zie­le und zu­letzt um die Fra­ge nach dem pas­sen­den di­gi­ta­len Werk­zeug. Beim Ge­stal­ten des Lern­raums fra­ge ich zu­nächst da­nach, was mei­ne Ler­nen­den brau­chen, um sich wohl und si­cher zu füh­len, da­mit Ler­nen statt­fin­den kann. Dann be­trach­te ich das über­ge­ord­ne­te Meta-Lern­ziel, das wir ge­mein­sam er­rei­chen möch­ten, be­vor ich die un­ter­ge­ord­ne­ten, in­di­vi­du­el­le­ren Lern­zie­le de­fi­nie­re. Da­mit habe ich die Ori­en­tie­rung, die ich brau­che, um zu ent­schei­den, wel­che Me­tho­den die Ler­nen­den dar­in un­ter­stüt­zen, die­se Zie­le zu er­rei­chen. Zum Schluss ent­schei­det sich, ob und in wel­chem Maße di­gi­ta­le Werk­zeu­ge hier hel­fen.

Bei My­Ga­te­kee­per un­ter­stüt­zen wir Lehr­kräf­te, päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te und Schul­lei­tun­gen da­bei die Ba­lan­ce für den sinn­vol­len Ein­satz di­gi­ta­ler Me­di­en zu fin­den. Denn es ist un­se­re Vi­si­on, Men­schen und Or­ga­ni­sa­tio­nen da­bei zu un­ter­stüt­zen, die Her­aus­for­de­run­gen der di­gi­ta­len Trans­for­ma­ti­on zu meis­tern, Bil­dung zu­gäng­li­cher zu ge­stal­ten und nach­hal­ti­ge so­zia­le Ver­än­de­run­gen vor­an­zu­trei­ben.